Portraitminiaturen 

Von 2015 bis 2017 wurde der erste Teil der Portraitminiaturen-Sammlung Liaunig – 100 zwischen 1590 und 1890 in Europa entstandene Miniaturen – in einer großzügig angelegten Vitrinenlandschaft gezeigt. Der Bogen der präsentierten Exponate spannte sich vom Elisabethanischen Zeitalter mit Hilliard über Cooper, Smart und Cosway bis hin zum frühen 19. Jahrhundert. Kontinentale Schulen umfassten Meisterwerke von Petitot, Liotard, Füger, Isabey und Daffinger, dem bekanntesten Miniaturmaler des Wiener Biedermeiers. 

Seit 2020 wird in dieser zweiten Ausstellung von den inzwischen weit über 300 Miniaturen der Sammlung Liaunig eine repräsentative Auswahl von über 120 zwischen dem Anfang des 17. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Stücken gezeigt, von denen die schönsten 100 Exponate in einem neuen, fast 400 Seiten starken Katalog 2020 publiziert wurden.  

Miniaturen sind meist in der sehr lichtempfindlichen Aquarelltechnik gemalt und werden somit von den wenigsten Museen öffentlich ausgestellt. Den Interessenten werden dort einzelne Stücke nur auf Anfrage in den Studiensälen vorgelegt, wie es zum Beispiel im Louvre und in der Albertina der Fall ist. Dank modernster Museumstechnik ist das Museum Liaunig derzeit eines der wenigen Museen der Welt, und das einzige in Österreich, in dem eine so
große Anzahl bedeutender Miniaturen dem interessierten Publikum öffentlich zugänglich gemacht wird.

Portraitminiaturen sind, wie es der Name vermuten lässt, handgemalte Portraits kleinster und allerkleinster Größenordnung, von einer Höhe zwischen weniger als einem Zentimeter bis zu etwa zwanzig/fünfundzwanzig Zentimetern, oder manchmal auch größer. Sie erfüllten seit Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Zeit der Erfindung und Verbreitung der Photographie Mitte des 19. Jahrhunderts genau deren Aufgabe, nämlich das möglichst
ähnliche Bildnis eines geliebten Wesens bei sich tragen zu können, oder auch sich eine Idee vom Äußeren einer Person zu machen, die man noch nicht kennt aber wohl kennenlernen wird (falls das Aussehen auf Grund der Abbildung schon einmal zusagt). So war bis ins 19. Jahrhundert, weit vor der Zeit des Internet-Datings, der Austausch von Portraitminiaturen die einzige Möglichkeit, vor den meistens arrangierten Heiraten zu überprüfen, wie sich die
Brautleute, die sich oftmals nie gesehen hatten, auch gefielen (was schließlich und endlich sekundär war).

Bei den heutzutage wieder so aktuellen Trennungen von Menschen, die sich nahestanden, vor allem von Paaren und Familienmitgliedern, dienten Portraitminiaturen als Platzhalter für die abwesenden Personen, wie noch heute das Foto im Geldbeutel oder das Selfie auf dem iPhone. Dadurch spielten Miniaturen vor allem zu Krisen- und Kriegszeiten eine bedeutende Rolle. So fällt auf, dass die Miniaturensammlung Liaunig besonders viele Bildnisse aus der
politisch wirren Periode des englischen Bürgerkrieges zur Zeit Oliver Cromwells Mitte des 17. Jahrhunderts enthält, ebenso wie zahlreiche Portraits aus den Jahren der französischen Revolution und der darauf folgenden Napoleonischen Kriege, zwischen 1790 und 1815.

Die ersten Pultvitrinen der Ausstellung enthalten englische Werke des 17. Jahrhunderts aus der Regierungszeit der Stuarts. Die bis zu über vier Jahrhunderte alten Aquarellminiaturen werden dem Besucher unter nur sehr gedämpften Lichtverhältnissen präsentiert, um diese seltenen Schätze auch für zukünftige Besuchergenerationen zu erhalten. Das nur 5 Zentimeter hohe Bildnis einer jungen Frau mit deutlich sichtbarer Warze ist das früheste und auch wertvollste Exponat im ganzen Miniaturensaal. Es stammt von der Hand des berühmten Isaac Oliver (um 1565–1617), Hofmaler der jungfräulichen Königin Elisabeth I. und deren Nachfolgers König Jakob I., Sohn der unglückseligen Maria Stuart. Zu den Lieblingskünstlern der Familie Liaunig zählt Samuel Cooper (1608/1609–1672), Hofminiaturist des Königs Karl I.
der das grausame Schicksal seiner Oma unter der Axt des Henkers teilen sollte. Samuel Cooper arbeitete eifrig, ohne jegliche Scheu oder Gewissensbisse für den, der für den Tod eines früheren Dienstherrn verantwortlich war: Oliver Cromwell. Als nach dem Cromwellschen Terror Karls Sohn den Thron bestieg, wurde Cooper sofort wieder zum
königlichen Hofmaler ernannt. Von den zahlreichen Cooper-Miniaturen der Sammlung Liaunig sind dieses Mal gleich sechs in den Vitrinen zu finden.

Besonders reich ist die Sammlung Liaunig an attraktiven Miniaturen des 18. Jahrhunderts aus Italien, Frankreich, Großbritannien, Russland und Skandinavien. Dem Deutschen Heinrich Friedrich Füger (1751–1818), Hofminiaturist unter den Kaisern Joseph II. und Leopold II., ist eine Extra-Vitrine gewidmet. Doch Österreichs erfolgreichster Miniaturmaler aller Zeiten war zweifelsohne Moritz Michael Daffinger (1790–1849). Allen Österreichern der Prä-Euro-
Generation ist Daffinger ein Begriff, denn ein Kupferstich nach einer dem Museum Liaunig gehörenden Miniatur diente als Vorlage für den letzten 20-Schilling-Schein. Seine sieben nun hier erstmals ausgestellten, besonders schönen Werke gehören zu den Highlights des Miniaturensaals im Museum Liaunig. Den Abschluss bilden, auch chronologisch, Miniaturen und Aquarelle der Schüler, Nachfolger und Zeitgenossen Daffingers, darunter zwei seltene
Miniaturportraits des berühmten Ferdinand Georg Waldmüller.

Dr. Bodo Hofstetter
(Ausstellungskurator)



Sammlungspräsentation "Portraitminiaturen II“
Kurator: Dr. Bodo Hofstetter
28. April bis 31. Oktober 2024 ∙ Mittwoch bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr
Museum Liaunig ∙ 9155 Neuhaus/Suha 41 ∙ +43 4356 211 15
office@museumliaunig.at ∙ www.museumliaunig.at